An der Wall Street gibt es noch eine Präsenzbörse. Dort stehen die Händler unten im Saal und auf dem Balkon präsentiert sich jeden Tag irgendeine Firma. Und zum Handelsschluss erschallt die Schlussglocke und dann wird enthusiastisch geklatscht. Und das auch an den finstersten Tagen, an denen die Kurse krachend einbrachen, Milliarden Dollar vernichtet wurden und tiefe Wirtschaftskrisen ihr Momentum entfalteten. Das war 2000 so und 2008 und auch davor, wenn der Blick in die Zukunft nur noch finster war. Bei der Schlussglocke wird geklatscht. Denn die Marktteilnehmer glauben an die Börse und den Erfolg des Kapitalismus. Sie wollen den Erfolg und es ist auch immer wieder bergauf gegangen.
Die Kirchen in Deutschland machen das ganz anders.
Die Kirchen sehen ihre Krise und die ist ohne Frage vorhanden. Und dann beauftragen sie ein Forschungsinstitut, um sich ihre Zukunft für das Jahr 2060 vorhersagen zu lassen. Und sie lassen sich vorhersagen, dass ihre Mitgliedschaft sich bis 2060 aus den verschiedensten Gründen halbieren wird. Mit dieser Prognose vor Augen planen die Kirchen nun die Schritte in die nächsten Jahre. Alles hat in den Zeitungen gestanden und man beginnt überall, daran zu glauben.
Man denke daran, welche Linien man 1980 – vor 40 Jahren – wohl für die Kirche in die Zukunft hätte zeichnen können. Damals quollen die theologischen Seminare über von jungen Leuten, die Pfarrerinnen und Pfarrer werden wollten. Man hatte Jugendgruppen in den Gemeinden und man konnte mit Zuversicht in die Zukunft schauen. 2020, so musste man denken, wird sich die Kirche sehr positiv entfaltet haben. – Es kam alles ganz anders und heute, 2020, zeichnet man die gegenwärtigen enttäuschenden Linien in die Zukunft.
Wir stellen fest: „Prognosen sind schwierig – besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Börsianer jedenfalls wissen das. In die Zukunft zu schauen ist das Geschäft der Börsianer. Aber sie wissen: Vorhersagen über 40 Jahre sind hochgradig unprofessionell. Niemand kann sagen, wie unsere Welt dann aussehen wird.
Sogar Vorhersagen für die nähere Zukunft stehen auf tönernen Füßen. Im Januar geben die Banken immer Prognosen ab, wo der Dax in einem Jahr stehen wird. Und man kann gewiss sein, dass keine dieser Prognosen stimmt. Der Zufall und Entwicklungen von außen üben einfach einen zu großen Einfluss auf die Entwicklung aus.
Aber Börsianer glauben an die langfristige Entwicklung der Wirtschaft. Deshalb sind sie dabei und investieren sie. Und die Vergangenheit hat ihnen in den letzten 150 Jahren Recht gegeben. Durch Weltkriege, tiefste Wirtschaftskrisen und Währungsreformen hindurch ging es immer wieder bergauf zu neuen Höhen.
Wo ist nur dieser Glaube in der Kirche? Gerade die Kirche sollte doch etwas vom Glauben verstehen. Es gibt sie seit 2000 Jahren und immer ist sie gewachsen in alle Kontinente und in alle Gesellschaftsschichten hinein. Warum sollte ihr gegenwärtiges Formtief in Deutschland ihr solche Sorgen machen?
An der Wall Street wird geklatscht – auch nach den finstersten Handelstagen. Weshalb sollte die Kirche in Deutschland nicht ebenso nach jedem noch so leeren Sonntags-Gottesdienst „Halleluja“ singen?