Gott und das Meer

Der Seemann und der Gläubige sind ein Paar. Bei beiden geht es um die Furcht und die Liebe. Nur ihr Bezug ist ein anderer. Der Seemann liebt das Meer und er fürchtet es auch. Der Gläubige fürchtet und liebt Gott.  

Ich komme darauf als Gläubiger und Theologe. Luther schreibt in seinem kleinen Katechismus zur Auslegung der 10 Gebote: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir …“ In dieser Doppelung sollen wir uns zu Gott verhalten mit Furcht und Liebe. Und das ist angemessen, da Gott in seiner Größe und Unerforschlichkeit immer auch gewaltig ist und man gut beraten ist, Respekt vor ihm zu haben. Auf der anderen Seite zeigt er sich seinen Menschen als der Liebende. Und gerade der Gläubige empfindet immer auch Gottes Zuneigung, die er gerne erwidert.

Ich komme darauf, weil ich auch ein Seesegler bin. Deshalb vergleiche ich das Meer gerne mit Gott. Denn ohne Frage segelt man auf dem Meer, weil man es liebt und die schönsten Erlebnisse auf ihm erfuhr. Aber das Meer gebietet auch die Furcht. Es kann gewaltig sein und einen zerschmettern und verschlingen. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Nur der Ehrfürchtige, der die Regeln guter Seemannschaft beherrscht und beherzigt, kann die Schönheit des Meeres lange genießen. – So könnte man sich doch auch zu Gott verhalten.

Nun möchte ich gerne, dass die Gläubigen und die Seeleute voneinander lernen. Denn Furcht und Liebe ist bei ihnen gegensätzlich verteilt und damit berauben sie sich der erhabensten Erfahrungen.

Der Seemann ist ohne Frage mutig. Er stellt sich der Welle entgegen und macht sein Arbeit an Bord. Er steigt in den Mast, wenn die Fahrt es erfordert, und schert sich wenig um den brausenden nassen Wind. Er hält den Kurs, wenn er die Verantwortung trägt, und schläft, wann immer er keine Wache hat. Bei all dem ist er ein Getriebener. Natürlich hat er manchmal Angst. Aber er muss es tun. Es ist seine Bestimmung und unterwegs oft sein Weg, um zu überleben. So zeigt sich seine Liebe.

Der Gläubige ist eher ein ängstlicher Mensch. Nicht umsonst vergleicht die Bibel ihn mit einem Schaf. In der Herde fühlt er sich zwar nicht stark, aber wenn er mit den anderen Schafen zusammen hält, kann er manchen Wolf abschrecken oder tottrampeln. Und außerdem hat er ja den Hirten, der ihn führt und beschützt. Natürlich kennt er auch die Liebe. Jedes Jahr gibt es schließlich in seiner Herde auch die Osterlämmchen. Er hält zu seiner Herde und die Mutterschafe geben alles für ihre Kinder. Aber ganz wesentlich ist sein Leben doch von Vorsicht und Zurückhaltung geprägt.

Weil ich nun beides bin – ein Gläubiger und ein Seesegler – frage ich, ob es nicht möglich wäre, beides zu vereinen. Beide kennen doch Furcht und Liebe gegenüber einer gewaltigen und wunderschönen Macht. Der Gläubige könnte doch vom Seemann lernen, mit Können und Einsatz seine Liebe zu leben. Und der Seemann könnte vom Gläubigen annehmen, dass es doch auch gut sei, mit anderen zusammen zu leben und Vertrauen zu haben. Beide Bewegungen lösen gewiss Ängste aus. Für den Seemann ist es die Furcht, Schulter an Schulter mit den ängstlichen Schafen seine Bestimmung zu verlieren. Für den Gläubigen ist es die Furcht, beim Kämpfen im feuchten Tosen die Liebe der anderen nicht mehr zu spüren. … Und sie verpassen so viel, wenn sie ihrer Furcht nachgeben und es nicht wagen, aus dem Schatten ihrer Furcht heraus zu treten.

Was bedeuten diese Gedanken eigentlich für den Hirten und für den Kapitän?

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